37C3Unsere Tipps für den Chaos Communication Congress

Unter dem Motto „Unlocked“ findet zwischen den Jahren der 37. Chaos Communication Congress in Hamburg statt. Hier kommen die sicher unvollständigen Highlights der Redaktion. Es geht um KI, Killerroboter, Pushbacks, Link-Extremismus, spielerische Mindfucks, Chatkontrolle und das Hacken für die Zukunft.

Pixelart, CCH in Hamburg mit Rakete
„Unlocked“ lautet das Motto beim diesjährigen Chaos Computer Congress. CC-BY-SA 4.0 blinry

Nach mehrjähriger Zwangspause findet in diesem Jahr wieder der Chaos Communication Congress (37C3) in Hamburg statt. Mitglieder unserer Redaktion sind auch vor Ort, einige von uns sprechen auf der Bühne.

Das gesamte Programm ist gewohnt umfangreich: Mehr als 130 Veranstaltungen finden vom 27. bis 30. Dezember im Congress Center Hamburg (CCH) statt. Die meisten der Veranstaltungen werden live gestreamt.

Wir schlagen für Euch eine Schneise durch das Dickicht, hier kommen unsere Tipps für den Congress.

Tag 1: Mittwoch, der 27. Dezember

Gleich am ersten Tag um 12 Uhr nimmt uns Eva Wolfangel etwas von der Sorge, dass ChatGPT und Co. den Weltuntergang bedeuten. Denn Chatbots können wir Menschen mit Sprache manipulieren – und ihnen dabei auch Geheimnisse entlocken. Unter dem Titel „Unsere Worte sind unsere Waffen“ verspricht Eva Wolfangel nicht nur Tricks für die eigenen Recherchen, sondern sie will auch zeigen, wie wir unsere eigenen Daten besser schützen können.

Nach der Mittagspause um 13:50 Uhr dreht sich bei Thomas Lohninger und Udbhav Tiwari dann alles um digitale Identitäten. Sie werden schon bald immensen Einfluss auf unser Leben haben: Prognosen zufolge sollen bis 2030 rund 80 Prozent der Weltbevölkerung eine digitale Identität nutzen. „Please Identify Yourself!“ wird es dann allenthalben heißen – mit womöglich dramatischen Folgen für unsere Anonymität und Grundrechte.

Im Anschluss gibt Anne Roth um 14:45 Uhr ein Update zum Thema Digitale Gewalt. Sie analysiert nach fünf Jahren den Stand der Dinge und konkret die Pläne des Bundesjustizministerium für ein Digitale-Gewalt-Gesetz. Und auch die EU bereitet ein neues Gesetz vor. Welche Folgen dies haben könnte, „was Digitale Gewalt mit Restaurantkritik zu tun hat“ und was eigentlich nötig wäre, um Betroffenen zu helfen, ist Thema dieses Talks.

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Arztbriefe, medizinische Diagnosen – solch sensiblen Daten werden heute mittels KIM, das steht für „Kommunikation im Gesundheitswesen“, über die Telematikinfrastruktur übermittelt. Wie sicher aber ist dieser Dienst? Das fragen Christoph Saatjohann und Sebastian Schinzel um 16 Uhr. Sie haben sich im „Live-Setup einer Zahnarztpraxis“ das „Kaos In der Medizinischen Telematikinfrastruktur“ genauer angeschaut – und sind auf etliche Schwachstellen gestoßen.

Ebenfalls um 16 Uhr lädt Trevor Paglen zum spielerischen Mindfuck, der sich um Ufos, Magie, Gedankenkontrolle, elektronische Kriegsführung, KI und dem Tod des Internets dreht. Unter dem Titel „You’ve Just Been Fucked By Psyops“ erforscht Trevor Paglen die geheime Geschichte der realitätsverändernden Militär- und Geheimdienstprogramme, die als Vorläufer einer phantasmagorischen Gegenwart dienen. Während des Vortrags erhalten die Teilnehmer:innen einen Anmeldecode, mit dem sie an einem Spiel namens CYCLOPS teilnehmen können, das diese Themen erforscht und während des gesamten Kongresses läuft.

Julian Assange sitzt derzeit in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis, ihm droht die Auslieferung in die USA und damit lebenslange Haft. Holger Stark wird in seinem Vortrag „State of Affairs in the case of Julian Assange“ ab 19:15 Uhr den rechtlichen und politischen Stand in der Causa Assange darlegen. Was wären die Folgen, wenn die Freilassung von Assange scheitert? Was sind die politischen Motive für seine Strafverfolgung?

Um 21:20 Uhr zeigen aprica und Geralbine auf, wie Basisinitiativen, Maker und Hacker auf der ganzen Welt ihren Beitrag zum Kampf gegen die Klimakrise leisten. Wer sich für „Hackers for Future“ interessiert und wissen will, wie digitale Technologien für die ökologische Nachhaltigkeit genutzt werden können, kann mit den beiden über den europäischen Tellerrand schauen – und mitmachen.

Tag 2: Donnerstag, der 28. Dezember

Am zweiten Tag geht es um 11 Uhr wild los: „Infrastructure of a migratory bird“ lautet der Titel des Vortrags von Gordan Savičić und Felix Stalder. Der Vortrag basiert auf künstlerischen Recherchen zu einem Wiederansiedlungsprojekt des Waldrapps. Der Zugvogels starb vor 400 Jahren nördlich der Alpen aus, seit 2013 wird er wieder unter intensiver Beobachtung ausgewildert. Die engmaschige Überwachung dient der Fürsorge und schafft ein Netz(werk) zwischen Mensch und Tier, das soziale, ökologische und technische Stränge hat – und den Vogel wieder in die Wildnis holt.

Ab 12:55 Uhr geht es mit Staatstrojanern weiter: In seinem Vortrag „Predator Files: How European spyware threatens civil society around the world“ zeigt Donncha Ó Cearbhaill, wie Spionagesoftware weltweit die Sicherheit von Aktivist:innen, Journalist:innen und Menschenrechtsverteidiger:innen bedroht. Er wird Einblicke in jene Taktiken und Techniken geben, welche die in Europa ansässigen Spyware-Allianz Intellexa nutzt, um die Endgeräte und Infrastrukturen zu infizieren, auf die wir alle angewiesen sind.

„All cops are broadcasting“ – und zwar mit TETRA. Das ist ein verschlüsselter Funkstandard, der weltweit von Regierungsbehörden, Polizei, Militär und kritischen Infrastrukturen verwendet wird. Die geheimen kryptografischen Algorithmen, die Tetra nutzt, haben Jos Wetzels, Carlo Meijer und Wouter Bokslag nachgebaut und im August 2023 veröffentlicht. In ihrem Talk um 16 Uhr werden sie weitere Details zu ihrem Vorgehen, den technischen Hintergründen und zu den neuesten Entwicklungen im Fall TETRA:BURST präsentieren.

Generative KI-Systeme wie ChatGPT und Midjourney werden oft als Game-Changer für die digitale Barrierefreiheit bezeichnet. Unter der Fragestellung „Rettet uns die KI?“ unternimmt Casey Kreer um 19:15 Uhr einen Realitätscheck und wirft dabei einen authentischen Blick in den Alltag von Menschen mit Behinderung. Im Fokus stehen dabei die Voraussetzungen für eine inklusive digitale Zukunft, in der technologischer Fortschritt und menschliche Vielfalt zusammengehen.

„Das Diskmags-Projekt“ hat sich der Aufgabe verschrieben, einen internationalen und systemübergreifenden Katalog zu Diskettenmagazinen der 1980er- und 90er-Jahre zu erarbeiten. Torsten Roeder wird um 21:10 Uhr über die elektronischen Multimedia-Journale berichten, die aus Sicht der Forschung ein wahrer Datenschatz sind. Das vorgestellte Projekt baut einen durchsuchbaren Katalog der rund 2.500 „Diskmags“ und mehr als 20.000 Einzelausgaben auf und kommt dabei auch um Fragen der Urheberschaft, des Leistungsschutzes und des Persönlichkeitsschutzes nicht herum.

Direkt im Anschluss werden weitere große Fragen aufgeworfen: Rainer Mühlhoff geht um 22:05 Uhr in seinem Vortrag mit dem Titel „KI – Macht – Ungleichheit“ der Frage nach, wie wir KI nachhaltig gestalten können – und zwar nicht nur in ökologischer, sondern auch in sozio-ökonomischer Hinsicht. Seine These: Erst wenn wir KI-Systeme als soziotechnische Systeme betrachten, erhalten wir ein besseres Verständnis von sozialer Nachhaltigkeit und können so auch dem digitalen Kolonialismus entschieden entgegentreten.

Zensur nimmt weltweit zu. Aber Resignation ist langweilig, so Roger Dingledine um 23 Uhr in seinem Vortrag „Tor censorship attempts in Russia, Iran, Turkmenistan“. Aktivist:innen auf der ganzen Welt versuchen Menschen, die in autoritären Regimen leben, weiterhin einen sichereren Zugang zum Internet zu ermöglichen. Roger Dingledine vergleicht die Zensurversuche in den unterschiedlichen Ländern und beschreibt Ansätze, die sicherstellen sollen, dass die Bytes weiter fließen.

Tag 3: Freitag, der 29. Dezember

Smartphones sind ein beliebtes Angriffsziel etwa für Stalkerware, Staatstrojaner oder Banking-Malware. Viktor Schlüter und Janik Besendorf wollen in ihrem Vortrag „Einführung in Smartphone-Malware-Forensik“ um 12:15 Uhr einen Überblick über Techniken und Open-Source-Werkzeuge geben, mit denen sich Stalkerware und Staatstrojaner auf Smartphones aufspüren lassen. Praktisch ausprobieren lassen sich einige dieser Techniken direkt im Anschluss an den Vortrag in einem Workshop.

Professionelle Hochstapler, Trickbetrüger und Agenten nutzen sie – oder auch Kinder. K4tana geht um 14:45 Uhr im Vortrag zu „Social Engineering: Geschichte, Wirkung & Maßnahmen“ dem Phänomen auf den Grund. Wie wirkt Social Engineering? Warum tut sie das? Und bei wem funktioniert es (nicht)?

Um 19:15 Uhr mahnen Patrick Breyer, khaleesi und Ulrich Kelber: „Chatkontrolle – Es ist noch nicht vorbei!“. Vielmehr drohe der seit drei Jahren andauernde Kampf um die neue Form der Massenüberwachung ebenso zu einem untoten Wiedergänger zu werden wie die Vorratsdatenspeicherung. Gemeinsam wollen die drei auf den bisherigen Weg schauen, den der Gesetzvorschlag bislang zurückgelegt hat. „Wenn ihr dachtet, ihr hättet alles zur Chatkontrolle gehört, bereitet euch auf eine absurde Tragödie vor, die ihr Ende noch nicht gefunden hat.“

Maja Göpel widmet sich um 20:30 Uhr dem Thema „On Digitalisation, Sustainability & Climate Justice“. Die digitale Welt weist einen gewaltigen Energiehunger auf, fördert ausbeuterische globale Praktiken von Tech-Unternehmen und die KI soll alles wie von Zauberhand grüner und besser machen. Maja Göpel fragt, wie wir eine nachhaltige, gerechte und demokratische digitale Zukunft anstreben und fördern können? Und welche digitalen Werkzeuge sind dafür sinnvoll, welche nicht?

Noch mehr Hoffnung verspricht Arne Semsrott um 21:45 Uhr mit seinem Vortrag „Heimlich-Manöver“. Es gibt ein Entkommen aus der schieren politischen Verzweiflung. Das zeigt das Beste aus den vergangenen Jahren bei FragDenStaat und Informationsfreiheit. Es geht um Klagen gegen Frontex, Nazis im EU-Parlament und Pimmelgate-Akten. Und um die größte Gefangenenbefreiung der deutschen Geschichte. Und wenn alle dann wieder tief Luft holen können, wird vielleicht auch gesungen.

Um 23 Uhr wird uns Lukas Arnold dann mitteilen, was uns das Smartphone verschweigt. „What your phone won’t tell you“ lautet der Titel seines Vortrags und darin geht es um dessen Innereien: Mit deren Hilfe lassen sich falsche Basisstationen aufspüren, die für Angriffe auf Mobiltelefone verwendet werden. iPhone-Benutzer bemerken solche Angriffe in der Regel nicht, und es sind (fast) keine Schutzmechanismen in iOS implementiert. Doch jetzt gibt es eine App dafür.

Der Tag endet und beginnt um Mitternacht mit dem „Prompt Battle“: Hast du das Zeug dazu, Prompt-Designer zu werden? In der Spielshow treten Menschen gegeneinander an, um mittels KI-Prompts komplexe Fotos, Bilder und Illustrationen quasi aus dem Nichts zu generieren. Das Publikum entscheidet, wer der KI die überraschendsten, verstörendsten oder schönsten Bilder entlockt und zum „Prompt Battle Winner“ gekrönt wird.

Tag 4: Samstag, der 30. Dezember

Neue Formen der Ausbeutung brauchen neue Formen der Gegenwehr. In ihrem Vortrag „Mobile reverse engineering to empower the gig economy workers and labor unions“ beschreiben Claudio Agosti und Gaetano Priori ab 11 Uhr, welche Folgen es hat, wenn die App der Chef ist. Der Schlüssel zu stärkeren Arbeitnehmer:innen-Rechten liegt für sie in einem besseren Verständnis jener Anwendungen, die die Arbeitnehmer:innen kontrollieren.

Ein Journalist von Radio Dreyeckland steht vor Gericht, weil er das Archiv der verbotenen Internetplattform linksunten.indymedia verlinkt hat. Die Internetplattform war 2017 nach Vereinsrecht verboten worden. Die Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe sieht in dem Artikel eine strafbare Unterstützung einer verbotenen Vereinigung. Der Vortrag „Link-Extremismus und Pressefreiheit“ von David Werdermann um 12 Uhr gibt einen Einblick in das Verfahren. David geht dabei insbesondere der Frage nach, wie Links rechtlich zu bewerten sind und wie der Staat gegen (linke) Medien vorgeht.

Autonome Waffensysteme finden immer mehr Verbreitung. Sogenannte „Killerroboter“ – vollständig autonome Waffen, die ganz ohne menschliches Eingreifen Ziele selektieren und angreifen – könnten schon bald das Geschehen auf den Schlachtfeldern bestimmen. Simon Weckert geht um 12:55 Uhr in seinem Vortrag „Zapfenstreich“ der Frage nach, welche Technologien zur tödlichen Autonomie bei Waffensystemen beitragen. Inwieweit kann man diese Technologien als KI-Systeme bezeichnen? Und wie lässt sich die sich abzeichnende Entwicklung stoppen?

Die Klimakatastrophe steht unmittelbar bevor und die globale Ungerechtigkeit nimmt zu. Rettung verheißen KI, Blockchain, Big Data, Fusionsenergie, Quantencomputer und Gentechnik. In ihrem Vortrag „Tech(no)fixes beware!“ legen Friederike Hildebrandt und Rainer Rehak dar, wie diese Technologien als Ersatz für den breiteren gesellschaftlichen Wandel gesehen werden – wahlweise als „Placebos für den Wandel“ oder im Einsatz für einen „Placebo-Wandel“. Um nachhaltig zu sein, sollte Technik aber immer im gesellschaftlichen Kontext betrachtet und eingesetzt werden. Dann gelingt auch der Wandel.

Gewaltsame Pushbacks sind im Mittelmeer an der Tagesordnung. Daran ist auch die „Küstenwache“ in Libyen beteiligt. Sie wurde von der EU mitaufgebaut, um Boote mit Geflüchteten nach Nordafrika zurückzubringen, wo die Menschen in Folterlager untergebracht werden. In ihrem Vortrag A Libyan Militia and the EU – A Love Story? zeigen Paul Wagner, Matthias Monroy und Felix Weiss, wie sie mit Low-Budget-Open-Source-Intelligence herausfanden, wie ein neues Schiff der „Küstenwache“ im zentralen Mittelmeer operiert und sich dabei unter anderem mit Frontex und europäischen Regierung abstimmt.

Im Juni hat die EU das E-Evidence-Paket beschlossen. Es soll die Abfrage digitaler Beweismittel drastisch vereinfachen. Europäische Polizeibehörden können nun direkt bei Online-Diensten die Daten von Verdächtigen abfragen. Klaus Landefeld befasst sich um 14:45 Uhr in seinem Vortrag „Dissecting EU electronic evidence“damit, wie die Freigabe von E-Evidence technisch funktioniert. Welche Arten von Informationen können angefordert werden? Und wie werden die Rechte des Einzelnen geschützt?

Der Vortrag Vom Darkroom in die Blackbox“ widmet sich schließlich den Effekten der Digitalisierung auf (schwules) Dating. LustigerLeo hinterfragt die verbreitete These, wonach die schwule Subkultur durch das Internet gestärkt worden sei. Das Gegenteil sei jedoch der Fall: Die schwule Subkultur stecke in einer Krise – auch wegen des Onlinedatings. Schwule Onlineplattformen, einst entstanden, um Repression zu entgehen, sorgten heute für „eine unterschwellige, fesselnde Regulation homosexueller Menschen“.

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